Chäpp, der Dorfkönig
Kaspar Rhyner aus Elm erzählt, wie aus dem Tannenzapfen sammelnden Purscht ein Unternehmer, Politiker und Dorfkönig wurde.
Zur Zeit des Zweiten Weltkriegs hat die Elmer-Citro-Fabrik zu wenig Kohle, um Wasser zu erhitzen. Damit die Flaschen auch weiterhin heiss gewaschen werden können, muss Brennmaterial her. Kaspar Rhyner, damals Jungspund und Elmer Schüler, sammelt deshalb mit seinen Kameraden auf dem Heimweg Tannzapfen. «Für 50 Kilo Tannzapfen bekam man sieben Franken, das war mehr als mein Vater an einem Fabriktag verdiente», erzählt Rhyner. Mit seinen Tannzapfen-Verdiensten kann er sich bald sein eigenes Velo kaufen, um in die Sekundarschule nach Matt zu fahren. «Das Velo hat damals 240 Franken gekostet.» Schon der junge Chäpp scheint zu wissen: Man muss einfach «duräziä». Nach der Maurerlehre in Schwanden und zwölf Jahren in Zürich kehrt Rhyner als Baumeister und voller Tatendrang ins Glarnerland zurück. Er wird FDP-Gemeinderat, später Präsident in Elm und prägt fortan die Wirtschaft und Politik des Chlytals. Er will sein Dorf, sein geliebtes Elm, seine Heimat schützen und fördern. So gründet er unter anderem die Stiftung Pro Elm, kauft und renoviert 1967 das abbruchreife Haus, in dem 1799 Suworow gastierte und sorgt dafür, das der Elmer Dorfkern umfahren wird. Mit der Eröffnung der Sportbahnen Elm gelingt Rhyner 1971 ein Meilenstein des Glarner Tourismus.
Chäpp, der Baumeister
Nicht nur im Chlytal hinterlässt Rhyner seine Spuren. Nebst unzähligen Verwaltungsratsmandaten beginnt er, auch in der Glarner Politik mitzumischen. «Ich wollte nie in den Landrat, ich wollte ja nicht politisieren», kommentiert er. Rhyner, aus hartem Holz geschnitzt, einer der Hand anlegt, will etwas tun, er will in die Exekutive. So wird er, obwohl schon Gemeindepräsident von Elm. 1971 überraschend der jüngste Schweizer Regierungsrat. Als Baudirektor baut er in den nachfolgenden Jahren den Kanton Glarus so aus, wie wir ihn heute kennen. Täglich fährt man, besucht man oder sieht man ein Bauwerk, das auf die Rechnung von Rhyner geht. Die Autobahnraststätte, die Kantonsschule Glarus, die Berufsschule Ziegelbrücke, die Kehrichtverbrennungsanlage, die Lawinenschutzgalerie der Sernftalstrasse, die Umfahrungen Schwanden, Rüti, Matt, Elm sind nur einige Beispiele, die Liste ist lang. «Ich habe einen Haufen Sachen gemacht, von denen früher gesagt worden ist, man macht es und man hat es nie gemacht.» Andere hätten immer geklagt, man habe zu wenig Geld. Er, Chäpp Rhyner, habe gesagt, man finde für alles Geld. «Politik ist die Kunst zwischen Neid und Gunst, vom Wünschbaren abzuweichen, und das Mögliche zu erreichen», so Rhyners politische Philosophie. 1990 schafft er es, als Krönung, in den Ständerat. Bis 1998 dient er der Glarner Politik weiter.
Man muss sich eben durchsetzen
Mit seiner herrischen Art stösst der «König von Elm» nicht immer auf Zustimmung. Wenn jemand anderer Meinung ist, hat er mit Kaspar Rhyner einen schweren Gegner. Denn er setzt alles daran, sein Ding durchzuziehen: «Manchmal muss man etwas eben durchzwängen», sagt er selber. Das bekam auch Vreni Schneider zu spüren, als sich 2008 der Streit um die zwei Elmer Skischulen entfachte. Oder als sich der Regierungsrat 2003 geschlagen geben muss, da Rhyner ein gemeinsames Glarner Tourismusprojekt nicht unterstützen will. Auch Rhyner muss Niederlagen eingestehen, zum Beispiel als sein Projekt für eine Umfahrungsstrasse Näfels Ende der 90er-Jahre von der Landsgemeinde abgelehnt wird. Heute, mit 83 Jahren, wendet sich Rhyner anderen Dingen zu. «Ich bin aber noch nicht im Ruhestand!», betont er. Am liebsten vertieft er sich in der Geschichte. Schliesslich wohnt er ja auch im Fürstenhaus, in dem der russische General Suworow «gnächtiget» hat, bevor er über den Panixerpass weiterzog. Er nennt das Haus ehrwürdig den «Suworow» und hat es aufwendig restauriert. Der General habe ihn schon als Bub fasziniert, wie er damals 21000 Mann über zahlreiche Schweizer Pässe führen konnte. Für Nachforschungen geht Rhyner 1966 sogar nach Leningrad, heute St.Petersburg, wo Suworow begraben liegt. «Ich habe mich dort inspirieren lassen.» Chäpp Rhyner, der König von Elm, ist gewissermassen in die Fussstapfen Suworows getreten.
Glarner Woche / 27. April 2016